Neuer Trend, bewährte Biere: Craft

Die englische Bezeichnung Craftbeer ist erst vor wenigen Jahren von den USA über England und Skandinavien nach Deutschland herübergeschwappt und wird mittlerweile auch hierzulande umgangssprachlich für aromaintensive Biere und besondere Bierspezialitäten verwendet. Auf den ersten Blick kann man zwischen einer amerikanischen Trendbezeichnung und der deutschen Brautradition keine Verbindung erkennen – aber ganz im Gegenteil. „Craft“ bedeutet Handwerk. Der direkten Übersetzung folgend existiert „handwerkliches Bier“ in Deutschland bereits seit über 1.000 Jahren. Mit rund 6.000 verschiedenen Biermarken aus über 1.500 Brauereien zeichnet sich Deutschland anders als die USA seit jeher durch eine enorme Biervielfalt aus.

In der ganzen Diskussion um die neue Bierwelt mit spannend interpretierten, meist klassischen Bierstilen wird manchmal vergessen, dass sich deutsche Braumeister schon immer der Braukunst verschrieben und ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Eigentlich war es sogar anders herum: Für amerikanische Bierenthusiasten, enttäuscht vom einheitlichen Bierangebot in den Supermärkten in den 1970- und 1980-er Jahren, waren deutsche Braumeister schon immer die Vorbilder, und deutsches Bier der Inbegriff für Genuss und Qualität. Deutsche Biere wurden schon damals in den USA als Spezialitäten gehandelt und mancher Braumeister von der Fangemeinde in Amerika mit offenen Armen empfangen. Die Brauer der neuen Generation kamen nach Deutschland, um hier zu lernen, wie man Bier braut, und haben den Braumeistern über die Schulter geschaut.

Zurück in den USA gründeten sie ihre kleinen Brauereien, aus denen mittlerweile Brauereien geworden sind, die größenmäßig einige der mittelständischen Brauereien hier sprichwörtlich in die Tasche stecken könnten. Tradition und Craftbier stellen also überhaupt keinen Widerspruch dar. Auch deutsche Familienbrauereien, die bereits mehrere hundert Jahre alt sind, brauen Craftbiere – ganz überwiegend nach dem Reinheitsgebot. Dies belegt einmal mehr, wie viele Möglichkeiten es gibt, auch nach über 500 Jahren noch neue, spannende Biere aus vier natürlichen Zutaten zu zaubern.

Aufgrund unserer Tradition in handwerklicher Braukunst wird Craftbier in Deutschland jedoch anders interpretiert und definiert als in den USA: Es steht für meist hopfen- bzw. malzbetonte, aromaintensive, individuelle Biere, die von Experimentierfreude und Regionalität geprägt sind. Was man aber bei allem craftigen Enthusiasmus nicht vergessen sollte: Ein gutes Helles oder ein gutes Pils zu brauen, erfordert meist sehr viel mehr Fachwissen und Braukunst als mit großen Mengen Hopfen wuchtige, bittere Biere herzustellen.

Woher kommt der Craft-Trend und wohin führt er uns?

Zu Beginn des 20. Jahrhundert gab es in den USA um die 1.700 Brauereien, deren Anzahl aber aufgrund verschiedener Umstände wie Kriege, Rohstoffknappheit und Prohibition in relativ kurzer Zeit drastisch sank. Im Rahmen der Prohibition wurden 1919 der Verkauf, die Herstellung sowie der Transport von Alkohol in den USA per Gesetz verboten. Dadurch setzte ein Brauereisterben ein, vom dem sich Amerika bis heute nicht ganz erholt hat. Die Prohibition bereitete so unbeabsichtigt schon damals den Boden für den Trend hin zu kleinen, meist illegal geführten, handwerklich orientierten Brauereien und setzte damit einen ersten Grundstein für „craft breweries“. In den 1970er-Jahren veränderte sich auf dem US-amerikanischen Markt die Bierszene: Durch massive Werbekampagnen großer Konzerne wurden kleine Brauereien sukzessive in der Verbrauchergunst und damit vom Markt verdrängt. Die großen Brauereien produzierten überwiegend leichte, schwach gehopfte Lagerbiere, die den Biermarkt bestimmten. Ende der 70er-Jahre schrumpfte die Zahl der Brauereien in Amerika auf 44, sechs große Brauunternehmen beherrschten den gesamten amerikanischen Markt.

1978 unterzeichnete US-Präsident Jimmy Carter, Bruder eines Brauers, ein Gesetz, das in Amerika erstmals „Homebrewing“ erlaubte. In den folgenden 30 Jahren entwickelte sich daraus eine bunte Brauerszene, die jedoch noch weit entfernt war von der deutschen Brauerei- und Biervielfalt. 
Warum „Homebrewing“? Um vielfältigere Biere als Alternative zum leichten „Lager“ zu bekommen, war der Verbraucher in den USA im Grunde genommen dazu gezwungen, sein Bier selbst zu brauen. Die Heimbrauer animierten immer mehr Brauer, eigene, kleine Brauereien aufzubauen. Ihr Ziel war es, Verbrauchern die Geschmacksvielfalt und Tradition von Bier wieder näher zu bringen und Lust auf Mehr zu machen.

Das Jahr 1976 bezeichnen einige Branchenkenner als die Renaissance des amerikanischen „craft beer“. In diesem Jahr eröffnete die Brauerei „The New Albion Brewery“ in Sonoma, die als Vorbild für viele Craft-Brauereien gilt. In den 80-er Jahren versuchten sich die Microbreweries und Beerpubs zu etablieren und nach und nach einen festen Kreis an Fans und Stammgästen zu gewinnen. Von den Experten aus der Industrie wurden sie nicht wahrgenommen und hatten überdies mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen. Sie belieferten zunächst regionale Bars und brachten so die Brautradition und die Geschmacksvielfalt der Bevölkerung näher. 

Seit über dreißig Jahren entwickeln sich in den USA immer mehr kleine und lokale Brauereien, die mit ihrem „craftbeer“ den Biermarkt aufmischen. Die Anzahl ist von acht Brauereien im Jahr 1980 auf 537 im Jahr 1994 und über 3.400 im Jahr 2014 angestiegen. Während der Biermarkt allgemein eher schrumpft, schreitet der „craftbeer“-Markt munter voran. Im Jahr 2014 lag der Marktanteil von „craft beer“ in den USA bei 11 Prozent, Tendenz steigend. Manche der sogenannten Kleinbrauereien bzw. „Microbreweries“ könnten deutsche, mittelständisch orientierte Brauereien in die Tasche stecken. Die eigens aufgestellte Definition der Amerikaner gerät ins Schwanken: Ursprünglich galten nur Brauereien mit einem geringeren Ausstoß als zwei Millionen Barrels (1 Barrel sind ca. 120 Liter) im Jahr als Mircrobreweries. 2010 erhöhte die American Brewers Association diese Angabe auf sechs Millionen Barrel, womit der Begriff „craft“, also „handgemacht“, an Bedeutung verlor. Derzeit liegt die Obergrenze für „Craft“ in den USA bei einem Ausstoß von 6 Millionen US-Barrel Bier (umgerechnet 7,15 Millionen Hektoliter). Damit fallen selbst die größten deutschen Brauereigruppen noch unter diese „Craft“-Definition.

Über Nordeuropa in die Köpfe deutscher Brauer

Eine ähnliche Ausgangssituation gab es in Dänemark, wo es im Jahr 2000 lediglich 19 Brauereien gab und neun Jahre später bereits 120 gezählt wurden. Daher gilt das Land in Skandinavien für Branchenkenner als der Vorreiter in Sachen „craft beer“ aus Europa und viele deutsche Brauer pilgerten in die USA und zum Bierfestival nach Kopenhagen. Waren in 2002 noch 793 Biere beim „Danske Retursystem“ registriert, waren es Ende 2009 bereits 7.717. Als Vorreiter der „craft beer“-Bewegung in Europa gilt die in Kopenhagen ansässige Mikkeller-Brauerei, die mit Barrique-Lagerung, Mango- und Passionsfrucht sowie Gewürzen im Sud und Champagnerhefen von sich reden macht. In Europa ist die „craft beer“-Bewegung mittlerweile vor allem in Skandinavien, den Benelux-Staaten sowie in Italien etabliert. Sie wächst gerade stark in Südtirol und Osteuropa.