Ursprung der Braukunst
Sicher sind sich die Historiker, dass Bier nicht das älteste alkoholische Getränk ist. Dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gebräu aus heruntergefallenen, vergorenen Früchten, also eine für uns heute weinähnliche Flüssigkeit, gewesen sein. Dennoch zählen Vorläufer der heutigen Biere zu den ersten Getränken, deren Genuss einen gewollt berauschenden Effekt zur Folge hatte. Konkret datierte historische Beweise für die tatsächliche Entdeckung der Alkoholproduktion, egal ob Wein oder Bier, gibt es kaum.
Experten sind sich jedoch einig, dass die Geschichte des Bieres untrennbar mit der Geschichte des Brotes zusammenhängt – daher auch die volkstümliche Bezeichnung „Bier ist flüssig‘ Brot“, die bis heute ihre Gültigkeit hat. Beide stellten ein Grundnahrungsmittel dar und finden ihren Ursprung zu einer Zeit, als die Menschen sesshaft geworden waren, Ackerbau betrieben und Getreide so Einzug in den Speisenplan der Menschheit fand. Man erkannte schon damals, dass vermahlenes Getreide besser zu verarbeiten und bekömmlicher ist als ganze Körner. Zusammen mit Wasser wurden die gequetschten oder zerriebenen Getreidekörner zu einem Brei vermengt und stellten als Teig die Grundlage zur frühen Brotherstellung dar. Stand dieser etwas länger an einem wärmeren Ort, so kam es durch Infektion des Brotteiges mit wilden Hefen aus der Luft zu einer spontanen Gärung. Der Wasseranteil war dabei entscheidend: Wenig Wasser machte aus dem Brei ein Brot, wurde mehr Wasser zugefügt, entstand eine Art Ur-Bier. Vielleicht lag damals auch nur ein Teigrest in einem Gefäß, das der Regen auffüllte, womit die Gärung beginnen konnte. Damit schuf Mutter Natur als Ur-Braumeister im Grunde das erste Bier. Michael Jackson, bekannter Autor maßgeblicher Bierführer, hat auf die gemeinsame Wurzel der beiden Worte „Brot“ und „gebraut“ hingewiesen, die die Verwandtschaft der Nahrungsmittel verdeutlicht.
Schon ca. 3.000 bis 2.000 vor Christus tranken die Sumerer ein bierähnliches Getränk. Die Ackerbauern aus Mesopotamien, dem heutigen Irak, hielten Herstellungsprozess, Rezeptur und Ausschank ihres Alltagsgetränks auf Tontafeln fest. Trüb, lauwarm und süß, wie ein flüssigerer Brotteig, muss das frühe Bier geschmeckt haben, das einen sehr geringen Alkoholgehalt hatte. Dieser reichte aber aus, um die Mesopotamier „fröhlich, wunderbar und glückselig“ zu machen, betont Michael Jackson in seinem Standardwerk „Bier“.
Schon damals wurde Bier als wertvolle Besonderheit gehandelt. So sollte beispielsweise mit der täglichen Opfergabe von einem Liter Bier an die Fruchtbarkeits- und Getreidegöttin Ninkasi die Ernte gesichert werden. Auch im Totenkult spielten Bier und Brot eine große Rolle, und ein Priester bekam, nach einem königlichen Beschluss, zur damaligen Zeit drei Kannen Bier und achtzig Brote für eine Beerdigung.
Eine richtige Bierkultur entstand dann im 2. Jahrtausend vor Christus bei den Babyloniern, denen die Braukunst von den Sumerern übertragen wurde. 70 verschiedene Biersorten entstanden aus Gerste, Emmer oder einer Mischung beider Getreidesorten. Es gab dunkles Starkbier, Dünnbier, Sauerbier und Süßbier. Bier wurde also als vielfältiges Getränk wahrgenommen und bereits gehandelt. Die damaligen Braumeister hatten ein Lagerbier im Sortiment, das für den Export nach Ägypten bestimmt war.
Bier war jedoch nicht nur ein Getränk, es war auch als Heilmittel angesehen. Eine Mischung aus Bier, Gewürzen und Aalgalle sollte beispielsweise bei einer Blasenentzündung helfen, um nur eine der altertümlichen medizinischen Anwendungen zu nennen.
Von ersten Kneipen oder Wirtshäusern wurde bereits ab 3.000 vor Christus in Ägypten berichtet: Der Ausschank von Bier in speziellen Bierhäusern oder öffentlichen Schenken gehörte zum damaligen Bild der Siedlungen. Aber es zählte nicht nur zum Alltag, Bier wurde neben Brot als Grundausstattung mit in die Grabkammern gegeben, um ein Weiterleben im Jenseits zu sichern.
Die Ägypter huldigten, wie die Sumerer, einer Gottheit: Osiris soll das aus Gerste bereitete Bier erfunden und beim Volk bekannt gemacht haben. Osiris galt auch als Schöpfer des Getreides und soll den Erdenbürgern das Brotbacken gelehrt haben.
Vom Mittleren Osten nach Europa
Wenn man von Ägypten aus einen Blick über das Mittelmeer warf, stellte man fest, dass die Griechen Bier als Kulturgut vernachlässigten und sich mehr dem Wein widmeten.
Nur arme Menschen, die sich keinen Wein leisten konnten, tranken Bier. Dennoch hatten sie in einigen Gegenden das Bier unter göttlichen Beistand gestellt: Der Gott Dionysos, von den Römern Bacchus genannt, war nicht nur der Gott des Weines, er war auch für Getreide und Bier verantwortlich.
Aber nicht nur in der Kulturgeschichte der Griechen, auch für die Römer hatte das Bier längst nicht die Bedeutung wie für die Sumerer und die Ägypter, es galt vielmehr als Getränk der unzivilisierten Barbaren. Der Ursprung des lateinischen Namens von Bier, „Cerevisia“, liegt jedoch wohl auch in göttlicher Hand: Für ihn stand Ceres, die Schutzgöttin des Wachstums der Feldfrüchte wie Getreide, Patin.
Im 2. Jahrhundert nach Christus begannen die Römer, Gersten- und Weizenbier direkt aus gemälztem Getreide zu brauen. Zuvor waren die sogenannten Bierbrote die wichtige Ursprungszutat. Die Hefen stammten aus dem Bodensatz alten Bieres oder aus kultiviertem Sauerteig. Gewürzt wurde mit verschiedenen Kräutern. Funde bei Ausgrabungen, wie beispielsweise im Freilichtmuseum des römischen Gutshofes Villa Rustica im schwäbischen Hechingen-Stein, beweisen, dass neben Wein auch Bier in landwirtschaftlichen Siedlungen der Römer eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Viele Häuser hatten ihre eigenen tönernen Braukessel.
Wichtige Hinweise auf die Braukunst der Germanen stammen aus der Nähe von Kulmbach, wo man in einem Grab Bierkrüge aus der Zeit um 800 vor Christus fand. Bier war bei ihnen nicht ein Alltagsgetränk, sondern wurde extra für große Feierlichkeiten gebraut, und zu diesen Gelegenheiten wurde dann kräftig getrunken – manchmal sogar aus den Schädeln erschlagener Feinde.
Deutsche Klöster als Keimzelle der Brauwissenschaft
Im Mittelalter braute man in den Klöstern zunächst für den eigenen Bedarf. Schritt für Schritt setzte sich im Laufe der Jahre der Export durch, und die Klosterbrüder brauten Bier zur Abgabe an Fremde und Ausschankstätten in der Umgebung ein. Im 7. Jahrhundert begann schließlich die systematische Entwicklung der Brautechnologie in den Klöstern Mitteleuropas. Die Mönche, die für das Brauen des Klosterbieres abgestellt wurden, waren insofern ein wichtiger Teil der Klostergemeinschaft, da sie für das leibliche Wohl in großem Maße verantwortlich waren. Zur Fastenzeit stellte das Bier nicht nur das tägliche Getränk, sondern auch die Nahrung der Klosterbrüder dar. Narrenfreiheit geht vielleicht etwas zu weit, aber die Brauer waren durch die Aufsicht über den zeitintensiven Brauprozess bei der Einhaltung der strengen Klosterregeln doch etwas „außen vor“. Solange gutes, nährreiches und frisches Bier floss, war alles in Ordnung.
In Klöstern wie Weihenstephan, Weltenburg, Andechs und vielen anderen wurde der Brauprozess studiert, Abläufe wurden hinterfragt, neue Rezepturen getestet und es wurde mit Heilpflanzen experimentiert. Jeder Brauvorgang, jedes Rezept wurde notiert und von Brauer zu Brauer weitergereicht. Im Vergleich hierzu war die Braukunst, die in den weltlichen Gasthäusern exerziert wurde, zur damaligen Zeit immer noch eher ein glücklicher Zufall, und die spontan einsetzende Gärung wurde als Gottes Tat begrüßt. Technisch im Brauprozess entscheidende Instrumente wie beispielsweise das Kühlschiff oder der Braukessel wurden in den Klosterbrauereien entdeckt oder weiterentwickelt. Oftmals sind die Brauer auch auf Wanderschaft gegangen und haben sich in anderen Klosterbrauereien neues Wissen angeeignet. So sind die Erkenntnisse in der Brauzunft über die Grenzen der Königreiche weitergetragen worden.
Ein Meilenstein auf dem Weg zu geschmacklich gutem und haltbarem Bier war der Einsatz des Heilkrautes Hopfen im Brauprozess. Im 12. Jahrhundert haben Mönche mit Hopfen dem Bier seinen typisch bitteren Geschmack verliehen und es länger haltbar gemacht. Vorher wurde beim Brauen die sogenannte Grut eingesetzt – ein Kräutergemisch, dessen Zusammensetzung von Region zu Region, von Braumeister zu Braumeister variierte. Als häufigste Zutaten sind Porst (Schweden und baltische Landstriche) und Gagelstrauch (Norddeutschland, Dänemark, Niederlande und Belgien sowie England) überliefert. In bestimmten Rezepturen wurde als Grut auch Anis, Beifuß, Heidekraut, Ingwer, Kümmel, Lorbeer, Mädesüß, Rosmarin, Salbei, Schafgarbe, Orangenschale, Wacholder und Zimt eingesetzt, um dem Bier fruchtig-würzige Aromen einzuhauchen.
Brot und Bier waren in den Klöstern Grundnahrungsmittel und die wohlgeformten Mönchsbäuche wurden täglich mit drei bis fünf Maß Bier genährt. Ein Maß hatte damals eine Füllmenge von bis zu zwei Litern – jedoch hatte das Getränk damals einen deutlich geringeren Alkoholgehalt als heute.
Im 12. und 13. Jahrhundert bekamen die bierbrauenden Mönche Konkurrenz, denn auch Adelige und Städte hatten das Bier als Einnahmequelle für sich und ihre leeren Kassen entdeckt. Brauen wurde vielerorts zum bürgerlichen Recht, vorausgesetzt, man konnte einen eigenen Grund und ein Haus vorweisen.
Der Hopfen setzte sich als entscheidende Zutat auch bei weltlichen Brauern durch; damit war die Haltbarkeit der Biere gesichert, Lagerfähigkeit und Geschmack wurden verbessert. Bier konnte nun nicht nur gelagert, sondern auch in fernere Regionen vertrieben werden. Zu dieser Zeit wurde das Bier über eine sogenannte Akzise (Verbrauchersteuer) direkt besteuert. In diesem Punkt hatten die Klöster einen großen Vorteil: Sie mussten keine Steuern bezahlen. Zudem hatten sie ausreichend Arbeitskräfte und konnten die Rohstoffe selbst anbauen. Die Mönche waren auch nie von einem Brauverbot betroffen, das zum Beispiel bei Missernten verhängt wurde, um das Getreide zum Backen statt zum Brauen zu verwenden. Während der Reformation und auch im Dreißigjährigen Krieg wurden viele Klöster aufgelöst. 1803, im Zuge der rechtsrheinischen Säkularisation, gingen viele kirchliche Besitztümer in staatliches Eigentum über – damit starben auch die Klosterbrauereien nahezu aus.
Im Norden Deutschlands entstanden zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert zahlreiche Brauereien, die zu einem bedeutenden Handwerkszweig aufstiegen. Norddeutsche Biere waren sogar bis nach Indien bekannt und wurden via Pferdewagen und Schiff versendet. Der Süden Deutschlands zog nach, und der Bayernherzog Wilhelm V. beispielsweise veranlasste, ein eigenes Brauhaus zu bauen, damit der Hofstaat endlich bayerisches Bier trinken konnte und nicht mehr auf nordische Importe angewiesen war.
Während im Norden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Bier unter der Konkurrenz von exotischen Getränken wie Kaffee oder Tee litt, entstand in Bayern eine Brauerei nach der anderen, und Bier wurde zum Volksgetränk Nummer eins.
Qualität und Verfügbarkeit durch technischen Fortschritt
Der französische Chemiker Louis Pasteur entdeckte, dass es sich bei Hefen um Kleinlebewesen handelt, und erkannte die Gärungsprozesse, die im Bier und auch im Brot ablaufen.
1881 isolierte der dänische Botaniker Emil Christian Hansen einzelne Hefezellen und machte die bis dato als unberechenbar geltenden Hefen zu einer kalkulierbaren Größe im Brauprozess. Von nun an konnten ein gleichbleibender Geschmack und eine große Haltbarkeit gewährleistet werden. Und als das Bier mit der Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführten Eisenbahn transportiert werden konnte, rollte das Getränk zum Beispiel täglich nach Paris. Der deutsche Ingenieur Carl von Linde machte die Brauer mit seiner Erfindung der künstlichen Eisherstellung durch die Kältemaschine unabhängig von den Jahreszeiten. Nun konnten sie immer untergäriges Bier brauen. Und durch die Weiterentwicklung der Kältemaschine war der Kühlschrank erfunden!
Weitere technische Neuerungen wie Filtrieranlagen, Darrapparat und ein Instrument zur Bestimmung der Stammwürze führten zu einem unaufhörlichen Wachstum an Brauereien in Deutschland und festigten die Rolle Deutschlands als eine der führenden Braunationen weltweit.